Wenn ich hier pinkle, fliesst das dann ins Meer?

watery whispers 

Titel
watery whispers 
Beschreibung

Bei meinen Spaziergängen entlang der Reuss begleitete mich das ständige Rauschen der Reuss, die sich unermüdlich ihren Weg durch die Landschaft bahnt. Manchmal war das Rauschen laut, manchmal wurde es von der pompösen Landschaft in den Hintergrund gedrängt und verblasste. Ich bemerkte leise Tropfen, die mit zunehmender Nähe zum kleinen Wassergefälle lauter wurden und schleisslich im Vorbeigehen wieder verklangen.
Für eine meiner Spaziergänge beschloss ich, in Andermatt zu starten und der Unteralpreuss entlang nach Spun zu wandern. Während meiner Wanderung begann ich, die Geräusche des Flusses und der kleinen Bäche aufzunehmen. Jedes Plätschern, jedes Tröpfen des Wassers klang ein wenig anders, als ob die kleinen Bäche mir etwas zuflüstern wollten. Es tropfte, plätscherte und rauschte von allen Seiten, immer in unterschiedlichen Tonhöhen. Mir fiel unter anderem auf, dass Steine, die im Flusslauf liegen, ein tieferes, dumpferes Geräusch erzeugen, wenn das Wasser über sie hinwegfließen muss. Im Nachhinein hörte ich mir die Aufnahmen der Unteralpreuss noch einmal an und versuchte zu verstehen, was der Fluss mir sagen wollte. Möchte der Fluss überhaupt eine Geschichte erzählen?

Während des Moduls beschäftigte ich mich auch mit der Frage, wie der alpine Raum in unserer Kultur genutzt wird. Einerseits bildet der alpine Raum einen Erholungsraum, wurde aber auch für militärische Zwecke genutzt wurde und gleichzeitig fungiert er auch landwirtschaftliche Fläche. Mich interessierte, wie diese unterschiedlichen Raumnutzungen mit der Natur einergehen. Dabei stieß ich auf den Text "All over the Place" von Lucy R. Lippard, in dem sie versucht, die Verlockung des Lokalen (The Lure of the Local) kritisch darzulegen. In ihrem Text untersucht sie die Rollen, die Menschen an Orten und im Raum einnehmen können, und die Faktoren, die den Raum beeinflussen. In einer Passage hebt sie hervor: *"Ich vermute, dass keine Landschaft, ob volkstümlich oder nicht, verstanden werden kann, wenn wir sie nicht als eine Organisation des Raums wahrnehmen; wenn wir uns nicht fragen, wem die Räume gehören oder wer sie nutzt, wie sie entstanden sind und wie sie sich verändern." *Zur gleichen Zeit stieß ich auf das Konzept der kritischen Raumpraxis und darauf, wie sich Widerstand durch den Raum manifestieren kann. Durch einen Workshop zum Thema „Third Cinema/ Millitant Cinema" wurde ich auf einen Film aufmerksam (The hour of Liberation Has Arrived, 1974), in dem die Aufnahmen der Landschaft deren Zerbrechlichkeit einfangen und den Konflikt durch die Aufnahmen der Landschaft verdeutlichen. Der Film zeigt auch, wie Widerstand durch den Raum erreicht werden kann.
In der Art und Weise, wie sich das Wasser seinen Weg durch die Landschaft bahnt, sah ich Parallelen zum Konzept der "Kritischen Raumpraxis" und des "Widerstands durch Raum". Das Wasser als eigenständige Entität gab mir das Gefühl, dass im Wasser ein widerständiges Potenzial innewohnt, von dem wir lernen können.
Durch meine Beobachtungen, mein Lauschen und Interagieren mit der Unteralpreuss versuchte ich, Verbindungen zwischen den von mir aufgenommenen Geräuschen und meinen eigenen Interpretationen herzustellen. Ich habe versucht, diese Beobachtungen in Form von Briefen an die Unteralpreuss zurückzugeben.

Claudia Lombardi